Erfurt. Vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung ist grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. Nur wenn sich der Arbeitnehmer eine vorherige einschlägige Abmahnung nicht zur Warnung gereichen lässt, ist die Annahme einer Gefahr auch künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt. Nur bei schweren Vertragsverletzungen ist eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung entbehrlich. Deshalb ist es für den Arbeitgeber bei Ausspruch einer Abmahnung so wichtig, dass die Abmahnung auch rechtlichen Bestand hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitnehmer die Beseitigung der Abmahnung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht. Darüber hinaus ist eine Abmahnung auch dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie statt eines konkret bezeichneten Fehlverhaltens nur pauschale Vorwürfe enthält.
Mit seiner Entscheidung vom 27.11.2008 hatte das Bundesarbeitsgericht über eine Abmahnung eines Versicherungsunternehmens zu entscheiden, mit dem dieses "weit unterdurchschnittliche Arbeitsergebnisse" eines Agenturleiters abgemahnt hat. In der Abmahnung heißt es unter anderem: "Die Produktion Ihrer Agentur betrug in der Zeit vom 01.04.2005 bis zum 31.03.2006 insgesamt 962 Nettowerteinheiten (NWE). Der Umfang des von Ihnen vermittelten Neugeschäfts lag damit deutlich unter dem Durchschnitt der anderen in der Vertriebsdirektion S tätigen Partnerverkäufer, der im gleichen Zeitraum 2.474,92 NWE betrug." Weiter heißt es: "Insbesondere fordern wir Sie auf, unverzüglich - bezogen auf die in der Vertriebsdirektion S tätigen Partnerverkäufer - mindestens durchschnittliche und bestandsfeste Produktionsergebnisse zu erzielen." Von den 45 Agenturleitern hatten 27 den Durchschnitt unterschritten, 17 davon um mehr als ein Drittel. Dabei erzielte der Agenturleiter mit dem geringsten Erfolg 329 NWE, während der höchste Wert 6.200 NWE betrug.
Das Bundesarbeitsgericht konkretisiert in seiner Entscheidung nochmals die Anforderungen der Rechtsprechung an eine Abmahnung wegen Minderleistung. Das Bundesarbeitsgericht legt dar, dass entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Abmahnung nicht schon deswegen aus der Personalakte zu entfernen ist, weil die konkreten zur Minderleistung führenden Pflichtverletzungen in der Abmahnung nicht bezeichnet wurden. Bei der quantitativen Minderleistung besteht die Besonderheit, dass für den Arbeitgeber oft nur schwer ersichtlich ist, worauf sie beruht. Bei der Abmahnung einer quantitativen Minderleistung reicht es daher aus, dass der Arbeitgeber die Arbeitsergebnisse und deren erhebliches Zurückbleiben hinter den Leistungen vergleichbarer Arbeitnehmer darstellt, verbunden mit der Rüge des Arbeitgebers, dass aus seiner Sicht der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit pflichtwidrig nicht ausschöpft.
Die streitgegenständliche Abmahnung war nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts allerdings dennoch aus der Personalakte zu entfernen, weil sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruhte. Mit der Abmahnung fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf, "durchschnittliche Produktionsergebnisse" zu erzielen. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nicht. Der Arbeitnehmer ist nicht zur Erzielung bestimmter Arbeitserfolge verpflichtet, sondern die persönliche Leistungsfähigkeit auszuschöpfen. Die Unterdurchschnittlichkeit der bisher erzielten Ergebnisse kann lediglich ein Indiz für das Nichtausschöpfen der persönlichen Leistungsfähigkeit sein. Die Aufforderung in einer Abmahnung kann daher nur dahin gehen, seine Leistungsfähigkeit auszuschöpfen.
Hinzu kam vorliegend, dass der Arbeitgeber nicht hinreichend dargelegt hatte, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausgeschöpft hatte. In Zahlen gemessene Arbeitserfolge können nur dann über die Frage, ob der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft, etwas aussagen, wenn sie unter in etwa gleichen Bedingungen erzielt werden. Gegen eine entsprechende Chancengleichheit sprach im vorliegenden Fall schon das außergewöhnlich weite Auseinanderklaffen des Höchstwerts und des niedrigsten Werts. Das der Mittelwert hier eine sinnvolle Aussage über das Leistungsverhalten erlaubt, lag umso ferner, als rund 60 % der Agenturen den Durchschnittswert unterschritten haben und knapp 40 % sogar um mehr als ein Drittel.
Die Abmahnung war daher unwirksam, weil sie zum einen eine unzutreffende Leistungsaufforderung enthielt und zum anderen der Vorwurf der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht hinreichend dargelegt war.
Die Entscheidung: BAG, Urteil vom 27.11.2008 - 2 AZR 675/07
